Predigt 2 - "Gott mehr lieben als seine Gaben"

Liebe Schwestern und Brüder,

ich weiß nicht, ob Sie schon mal so eine Zugfahrt erlebt haben. Bestimmt ist eine Zugfahrt mit Mr. Bean im Waggon stets recht lustig, aber sicher haben wir nicht so die Gelegenheit, mit ihm auf Zugfahrt zu gehen. Spaß wäre auf jeden Fall vorprogrammiert. Und den könnten wir ja auch auf so mancher Zugfahrt gebrauchen, bei verspäteten Zügen, Tarifdschungel, Technikproblemen u.v.m.

Wie würden wir mit solch einem lachenden Mitfahrer im Abteil umgehen? Mitlachen oder noch lauter lachen, verärgert sein, als Kontrastprogramm weinen? Ihn höflich bitten, leiser zu sein, das Weite suchen? Vielleicht wären wir aber auch neidisch darauf, dass unser Mitfahrer so herzlich lachen kann, dass er so viel Humor auf seinen Lebensweg mitbekommen hat. Vielleicht wären wir auch ärgerlich auf Gott, dass er uns nicht so viel Humor und Lockerheit mit auf den Weg gegeben hat!?

Wie einige von Ihnen wissen, habe ich, bevor ich im letzten Jahr hierhergezogen bin, in Cuxhaven an der Nordseeküste und Elbmündung gelebt, was ein wirklich netter Landstrich ist. Viele von Ihnen wissen auch, dass in Cuxhaven nicht nur das christliche Tagungshaus „Dünenhof“ ist (der Treff aktiver Ruheständler war ja neulich auch grad dort), sondern auch die Redaktion der christlichen Zeitung „Aufatmen“, die eine meiner wichtigsten und liebsten Zeitungen ist. Während meiner Zeit in Cuxhaven hat mich darin ein Artikel von Larry Crabb sehr bewegt und angesprochen und meinen Glauben nachhaltig verändert, da er im Kern sehr gut Evangelium beinhaltet und dieses in seiner Tiefe noch einmal ganz neu bewusst machen kann. Es geht um das Wesen Gottes, um reifen Glauben, dass wir Gott noch mehr erkennen, und das ist ja ein lebenslanger Prozess.

Wir wollen heute früh einigen Gedanken nachgehen, in denen es darum geht, ob wir Gott mehr lieben als seine Gaben. Wollen wir Gott, oder wollen wir nur etwas von ihm? Wollen wir Gott, oder wollen wir nur etwas Gutes von ihm?

Es steckt dahinter ja auch ganz tief die Frage, wer Gott eigentlich ist – und wie ist Gott? Ich möchte da mal eine kleine Umfrage mit uns machen:

 ·         Wer von uns glaubt, dass Gott gut ist? (die Mehrheit?)

 ·         Belohnt Gott unser Wohlverhalten, also wenn wir uns gut verhalten, ist Gott dann auch gut zu uns? (etwas weniger)

 ·         Bestraft Gott unsere Sünden, also wenn wir was Falsches tun, zieht Gott dann seine Hand von uns und zeigt unser Leben dann böse Folgen? (verunsichert?!)

Das Bild vom Leben, was wir von klein auf lernen, ist folgendes: Ich nenn das mal ein lineares Bild, es geht um Ursache und Wirkung. Ich tue was, und es passiert was, und was passiert, hat damit zu tun, was ich tue:

Auf A folgt B. Das ist selbstverständlich. Wenn wir A tun, ist B die Folge. Und umgekehrt ist es genauso. Wenn ich B will, muss ich A tun. Wenn ich ins Wasser falle, werde ich nass. Wenn ich nass werden will, muss ich irgendwie ins Wasser reingehen. So ist das Leben, das wissen wir.

Und so ähnlich hat sich dieses Bild auch in unserem Glaubensleben verankert, ganz unwillkürlich übertragen wir dieses Bild auch auf unser Leben: Wenn ich ein Gutes und gesegnetes Leben führen will, dann muss ich nach den Geboten leben, muss tun, was Gott sagt. Und umgekehrt auch: Es geht mir gut, weil ich ein gottesfürchtiges Leben führe, Gott segnet es – auf A folgt B. Ich sündige, ich denke nicht an Gott und seine Gebote, na klar, dass es mir schlecht geht!

Das ist Ursache und Wirkung! Das steckt ganz tief in jedem von uns drin – so ist das Leben! Und weil das so ist, wenden wir das auch ständig auf den Glauben an.

Wir sagen zum Beispiel: Kein Wunder, dass Gott mein Gebet nicht erhört hat, ich war ja auch gar nicht so fromm in letzter Zeit! Da ist so viel Sünde in meinem Leben, hab gar nicht so regelmäßig meine Stille Zeit gemacht, war nicht so oft in der Gemeinde – kein Wunder, dass es nicht so recht läuft. Gott ist bestimmt enttäuscht von mir!

Oder auch umgekehrt. Jetzt habe ich alles gegeben, hab regelmäßig meine Stille Zeit gehabt, bete viel, les in der Bibel – und doch erhört Gott mein Gebet nicht! Hey, was ist los? Wo ist Gott? Er reagiert gar nicht? Was soll ich noch alles machen?

Typische Haltung von uns – und davon gibt es ganz viele kleine Abarten, dass wir uns morgens manchmal so den geistlichen Puls fühlen, oh, ich bin nicht so gut drauf heut, kein Wunder, dass der Tag so gelaufen ist! Oder heut früh bin ich auf dem Weg zur Arbeit mit meinem Auto geblitzt worden, weil ich zu schnell fuhr, oh, Gott scheint gegen mich zu sein heut. Und so unsaubere Gedanken hab ich gehabt, dass kann ja morgen nichts werden, wenn ich schon gleich so anfange!

à Beispiel Seminar… (Dialog)

Ganz tief in uns drin steckt diese „Kaffeesatzleserei“, ganz tief steckt ins uns drin dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip. Jetzt hab ich doch was Gutes getan, jetzt muss das doch Gott auch belohnen, jetzt muss es doch gut laufen! Was soll denn das jetzt, da stimmt doch was nicht!

Ganz oft fallen wir in diese Muster hinein, Glauben zu berechnen! Das ist eigentlich das, was man RELIGION nennt. Und das ist das Problem, dieses lineare Denken! Da ist ein heiliger Gott – und ich bin der Mensch. Und damit der Heilige Gott mir etwas Gutes tut, tue ich etwas für ihn! Ich engagiere mich, ich bring Opfer, ich versuche nach den Geboten zu leben, ich bete! Und dann ist Gott mir gut. Dieses Denken steckt ganz tief in uns drin und lernen wir schon in der Erziehung. Wenn Du dich richtig verhältst, ist es in Ordnung, wenn Du was Schlechtes tust – pass auf!

Aber – das ist eigentlich die Herrschaft des Gesetzes – würde die Bibel sagen! Das ist RELIGION, was tun, was kriegen. Aber wir haben es eben gehört – Gott ist heilig, Gott ist unverfügbar! Gott ist ganz anders – das kann eigentlich also gar nicht stimmen! Daher müssen wir uns auch fragen: Ist das das biblische Bild? Wir tun was, wir kriegen was!

Schauen wir also in die Bibel, und wenn wir in die Bibel schauen, dann werden wir zunächst verwirrt – gleich, ob wir uns im Alten oder Neuen Testament umschauen.

5. Mose, 29,8: So haltet nun die Worte dieses Bundes (die 10 Gebote) und tut danach, auf dass ihr glücklich werdet und euch alles gelingen wird.

Steht klar in der Bibel!

Sprüche 3,6: Denke an ihn auf all deinen Wegen, so wird er dich recht führen und krönt dein Handeln mit Erfolg!

Hey, ist ja super. Tu das Richtige, und du hast Erfolg. Auf A folgt B. Und es gäbe noch viele ähnliche Verse, aber auch im Neuen Testament:

Ein Vers, der mir immer wieder neu nachgegangen ist aus Matth. 6,33: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch dieses alles zufallen. Ursache – Wirkung.

Also steckt diese Bild auch in der Bibel mit drin. Es gibt so etwas wie natürliche Konsequenzen, also gute Gründe, sich an Gottes Gebote zu halten. Da ist auch gar nichts dagegen zu sagen. Wer sich an seine Gebote hält, der wird auch erkennen, dass das sinnvoll ist. Aber, und das ist das wichtige und entscheidende: Es ist kein festes Berechnungssystem! Ich kann nicht bestimmen und sagen, so muss das sein – denn, wofür bräuchten wir dann eigentlich Gott? Was soll Gott in einem solchen System, wenn nur gelten würde: Das Richtige tun, das Richtige bekommen. Dann wäre die Bibel das beste Methodenbuch, um Glück zu erhalten. Das wärs: Lies die Bibel, und dann hast Du Glück! Wer will, dass sein Leben funktioniert, der liest die Bibel als ein Rezeptbuch und bekommt, was drin steht. Aber: Wozu brauche ich dann noch Gott? Das ist eine große Versuchung. Viele Leute leben nach dem Buch, und plötzlich klappt es nicht. Hey, was ist jetzt los? Das funktioniert nicht, da stimmt was nicht mit dem Christsein!

Und andersherum müssen wir sagen, es funktioniert zum Glück nicht! Denn dann würde das ja wie in anderen Religionen so laufen: Wenn ich es nicht schaffe, zu tun, was ich tun soll, dann krieg ich auch nichts, dann läuft mein Leben ins Verderben. Denn: Menschen sind nicht perfekt. Wir schaffen das einfach nicht, was da alles von uns verlangt wird. Niemand schafft das dauerhaft. Das wäre eine schlechte Nachricht für uns: Hey, wenn Du das nicht schaffst, dann kriegst Du nichts. Wir wissen aus Erfahrung, dass wir es nicht dauerhaft schaffen, das klappt nicht, wir versagen immer wieder – wir sind Menschen. Das wäre dann eine Krampfreligion, ständig wäre Leistung gefordert, ein unendliches Abmühen, ein Schaffen und Versagen.

Und ich wäre mir auch ständig unsicher, wie Gott über mich denkt. Ist er mir gut – komm ich in den Himmel, werde ich das ewige Reich erleben? Ich weiß nicht, wenn ich jetzt wieder sehe, wie ich heute drauf war? Leistungschristsein pur. Ich muss wieder mehr beten, ich opfere was, ich tue was…ein ewiger Kampf. Und ich bin mir nie sicher, lande ich bei Gott?

Zum Glück gibt es da noch das neue Testament. Die Gute Nachricht – die wirklich Gute Nachricht – das heißt Evangelium!

à Das Gute an der Guten Nachricht: „Du, was ist eigentlich das Gute an der Guten Nachricht?“

Das Gute an der Guten Nachricht ist, dass der religiöse Druck weg ist! Ich bin frei, das stimmt nicht, dieses alte System!“

Und die Bibel bestätigt uns das auch! In Hebräer 7,18 steht es ganz krass: Denn damit wird das frühere Gebot (Altes Testament  -Gebote) aufgehoben - weil es zu schwach und nutzlos war;  19 denn das Gesetz konnte nichts zur Vollendung bringen -, und eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir uns zu Gott nahen.

Mit Jesus ist alles anders geworden – Jesus hat alles getan für uns. Er durchbricht das ganze System! Da ist nicht mehr A und B – da ist nur noch Jesus! Und Jesus hat die Tür aufgemacht – ein für alle mal! Das ist geschehen! Wir können auch nichts mehr tun, um das rückgängig zu machen! Wir können nichts mehr tun, damit uns das nicht mehr gilt.

Jesus hat alles getan, daher brauchen wir nichts mehr TUN. Jetzt können wir SEIN! Das ist eine wirkliche Revolution! Eigentlich müssten wir jeden Tag jubelnd rumlaufen und rufen: Mensch, ist das toll!!! Es ist alles getan!

Ich denk, ein Grund, warum wir das nicht tun, ist deshalb, weil dieses alte System immer wieder da hineinkrabbelt! Wir werden es nicht ganz los, weil es in uns drin steckt. Immer denken wir wieder, ich muss ja noch was tun, und ich hab ja nichts getan, das kann ja nicht klappen! Wir wollen gerne leisten – das steckt tief in uns drin und wird auch in allen Bereichen unserer Gesellschaft ja ständig von uns verlangt. Ohne Leistung sind wir nichts.

Aber die Bibel ist sehr klar. Ich muss mich nicht erst säubern, um zu Gott zu kommen, sondern weil ich dreckig bin, gehe ich zu Jesus. Weil ich es nicht packe! Weil ich krank bin, gehe ich zu Gott. Jesus ist mein Arzt und mein Helfer.

Paulus sagt das in Römer 7,6: Nun aber sind wir vom Gesetz frei geworden und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt, sodass wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens. 

Aber, dann passiert oft was ganz verrücktes: Für viele ist das dermaßen unglaublich und zu schön, um wahr zu sein, dass wir wirklich nichts tun müssen. Wir misstrauen und denken, das kann ja nicht sein, dass wir etwas bekommen ohne Gegenleistung. Das gibt es nirgends. Unser Stolz schaltet sich ein – wir wollen nichts geschenkt! Ist uns oft zu unbequem – wir möchten berechnen.

In Galater 3, 1-5 merkt Paulus: O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte?  2 Das allein will ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? 3 Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's denn nun im Fleisch vollenden? 4 Habt ihr denn so vieles vergeblich erfahren? Wenn es denn vergeblich war! 5 Der euch nun den Geist darreicht und tut solche Taten unter euch, tut er's durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?

Wir tauschen das Neue wieder gegen das Alte ein und landen wieder bei Krampf, Druck und Leistung. Ans alte System glauben heißt: Ich will was von Gott, aber ich will nicht ihn, wir wollen unabhängig von Gott sein. Ich will was haben, aber ich will nicht ihn. Ich bete zu Jesus, dann will ich dafür auch das gute Leben – Jesus wird so Mittel zum Zweck. Ich glaube lieber an das System. Ich will nicht Gott, oftmals auch nicht diese Unverständlichkeit, manchmal auch der geführten Wege.

Wir wollen uns das in der Gegenüberstellung noch mal anschauen:

 

Moses

Jesus

Gottes Gaben

Nähe

Prinzipien

Vergebung

Gesetz

Gnade

Leistung

Befreiung

Druck

Entlastung

Tun

Sein

Fromm sein

Kind sein

 

Als Kind bin ich ewig bei meinen Eltern, Kindsein kann man nie verändern. Auch wenn ich mein Kind nicht will, so ist es doch mein Kind. Und Jesus sagt: Ich will Dich – und das ist ein Verhältnis, das nicht von Leistung abhängt. Glauben an Jesus, oder Religion, Altes Testament oder Neues Testament?

Ich merke bei mir, dass das ein lebenslanger Kampf bleibt. Wir fallen immer wieder in dieses alte Bild zurück. Der Grund sind meistens Zweifel: Ich zweifele daran, dass Gott wirklich gut ist und ich messe ihn an seinen Gaben! Wir messen ihn an seinen Gaben. Wenn es uns gut geht, o.k. Gott ist da, aber wenn wir in Krisen geraten, etwas schlecht läuft, eine schwere Krankheit in unser Leben bricht: Ist Gott da? Ist er gut?

Warum? Weil wir mehr Gottes Gaben wollen als Gott selbst! Weil wir mehr interessiert sind an den Gütern – und nicht vorrangig an der Beziehung!

à Dialog: Güterzug!

Wenn kommt, was wir wollen, ist Gott da. Wenn etwas Schlimmes, Schweres kommt: Wo ist Gott? Ist er da? Stimmt das alles mit der Bibel? Wie kann das sein?

à Dialog: Gott führt eine schwere Strecke und es stellt sich nicht das ein, für was man betet. Später merkt man aber doch, dass es gut war.

Gott gibt manchmal nicht, was wir wollen und um was wir bitten. Und wir wissen oftmals auch gar nicht, was wirklich gut für uns ist! Trotzdem ist es aber gut zu beten, auch um Heilung, wir sollen Älteste rufen und Gott kann auch heilen, er kann das auch heute tun. Aber Gott ist Gott, wir wissen nicht, was Gott will und was das Beste für uns ist. Aber was verkehrt ist, ist, wenn wir auf der Suche nach den guten Gaben, Gott selbst aus den Augen verlieren. Wenn wir ihn auf die Seite stellen. Gott sagt, es geht um was anderes. Ich bin Gott und ich gebe Dir, was gut für Dich ist! Denn du weißt nicht immer gleich, was gut ist und was nicht! So dicht liegen diese beiden Systeme und so schnell fallen wir zurück, denken dass wir alles richtig gemacht haben und so viel Vertrauen investiert, haben so viel getan und trotzdem hat Gott „scheinbar“ nicht reagiert.

In der Rückschau erkennen wir dann: Es ist gut, so wie Gott gehandelt und geführt hat. Gott hat den größeren Überblick als ich mit meinem kleinen Horizont. Gottes Liebe ist unermesslich und er lässt mich nicht fallen, ganz gleich, wie sehr sich meine Unzulänglichkeiten in meinem Leben austoben. Er macht es gut, auch wenn er manchmal nicht das macht, was wir erwarten und wünschen. Er hat es anders gemacht, als ich wollte. Gott ist heilig. Er macht es manchmal auch nicht nach längerer Zeit. A und B funktioniert nicht bei Gott. Gott ist Liebe und sein Ziel ist es, dass wir ihm vertrauen und die Nähe zu ihm suchen! Es bleibt ein täglicher Kampf, dass andere wirklich biblische Bild zu verinnerlichen.

Der eingangs erwähnte Larry Crabb erzählt eine interessante Geschichte: „Als ich drei Jahre alt war, wohnte unsere Familie vorübergehend im großen alten Haus meiner Großeltern. Die einzige Toilette befand sich im zweiten Stock. An einem Samstagnachmittag beschloss ich, ich sei groß genug, um die Toilette auch ohne fremde Hilfe zu benutzen. Ich kletterte die Treppe hinauf, verriegelte hinter mir die Tür und kam mir für die nächsten paar Minuten sehr erwachsen vor.

Dann wollte ich wieder hinaus. Aber ich bekam die Tür nicht auf. Ich versuchte es mit aller Kraft meiner drei Jahre, aber ich schaffte es nicht. Ich geriet in Panik. "Ich muss den Rest meines Lebens hier in der Toilette verbringen!" Und -plötzlich fühlte ich mich wieder wie ein sehr kleiner Junge. Meine Eltern -– und vermutlich auch die Nachbarn -– hörten mein verzweifeltes Geschrei. "Was ist los?", rief meine Mutter. "Ich krieg die Tür nicht auf!", brüllte ich.

Mein Vater war bereits in die Garage gerannt, riss die Leiter vom Haken und lehnte sie an die Hauswand, genau unter dem Toilettenfenster. Mit seiner Kraft als erwachsener Mann stemmte er es auf, kletterte in mein Gefängnis, ging an mir vorbei, drehte den Schlüssel und machte die Tür auf.

"Danke!", sagte ich -– und lief davon zum Spielen.

So ähnlich funktioniert auch das Leben des Christen, dachte ich lange Zeit. Wenn ich irgendwo feststecke, versuche ich erst einmal, mich selbst zu befreien. Wenn das nicht geht, rufe ich im Gebet um Hilfe. Gott hört dann mein Geschrei: "Hol mich hier raus. Ich will spielen!" Er kommt und öffnet die Tür.

Was ist, wenn Gott in so manchen Situationen unseres Lebens die Tür nicht aufschließt. Wenn das nicht eintrifft, um das wir sehnlichst beten? Wenn ich rufe, weil die Tür nicht aufgeht, weil meine Stelle weg ist, weil ich verzweifelt bin oder krank bin, und ich rufe Gott, und er kommt, und er steigt zu mir durch das Fenster und er sagt: Ich komme – und bleib bei Dir, aber ich schließ die Tür nicht auf!

Sind wir noch zufrieden mit Gott, lieben wir ihn noch, wenn er die Tür nicht aufschließt, wenn er bei uns bleibt und uns sagt: Ich habe und werde Dich nie allein lassen, ich bin immer bei Dir, was auch geschieht. Ich gehe mit Dir, durch das dunkle Tal. Wollen wir Gott dann noch, wenn die Kinder nervig bleiben, oder die Ehe nicht wieder heil wird, die neue Stelle nicht gleich kommt oder ich nicht gesund werde, die Einsamkeit stärker wird und die Depression tiefer, wenn eine gesegnete Arbeit aufgegeben werden muss, wollen wir Gott dann noch? Oder wollen wir nur seine Gaben? Nur das, was er tun soll? Lohnt es sich, dem vermeintlich guten Leben nachzulaufen?

Lieben wir Gott noch, wenn er zwar durch das kleine Fenster in unsere finstere Kammer klettert, aber dann nicht den Schlüssel umdreht, den wir selber nicht bewegen können? Stattdessen hockt er sich auf den Boden und sagt: Komm, setz dich zu mir! Offenbar ist er der Meinung, für mich sei es wichtiger, dass er zu mir gekommen ist, als dass er mich zum Spielen raus lässt.

Ich sehe das nicht immer so wie er. „Hol mich hier raus!“ jammere ich. „Wenn du mich lieb hast, dann schließ die Tür auf!“. Es liegt an uns. Wir können Gott weiterhin bitten, uns zu geben, wovon wir uns unser Glück erhoffen, raus aus dem dunklen Raum, hin auf den Spielplatz mit seinen Freuden! Wir können seine Einladung annehmen und uns zu ihm setzen – im Moment vielleicht noch im Dunkeln – und die Gelegenheit nutzen, ihn besser kennen zu lernen. Wählen wir den alten Weg – und den Druck? (Ich tue alles, aber hol mich hier raus?), oder entdecken wir Gottes Herz und unser eigenes und wählen den neuen Weg der Freiheit und der Freude?

Ich wünsche mir, dass wir so viel Reife entwickeln, Gott so zu lieben und so zu wollen, wie er ist, mit Liebe und Vertrauen! Der sagt: Ihr könnt mir Vertrauen, was auch kommt, auch wenn es anders kommt, als ihr denkt! Ich bin euer Vater, ich tue, was gut für euch ist. Ich bin LIEBE, ich bin bei Euch!

AMEN.