Predigt 1 - "Kreuzwege"

Liebe Schwestern und Brüder,

das Kreuz – wo Himmel und Erde sich berühren. Wir haben hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Kreuzbilder auf uns wirken lassen. Und sicher hat jeder so seine ganz persönlichen Bilder, die ihm

in den Sinn kommen, wenn er an das Kreuz denkt. Nach der Passionszeit aus dem hellen Licht der Auferstehung in der österlichen Zeit, praktisch im Schatten des Kreuzes, möchte ich einladen, einzutauchen in einige Gedanken zum Kreuz. In der Passionszeit machten wir uns wieder auf, auf zum Kreuz, wir gingen mit Christus

diesen Weg nach, den er gegangen ist, gehen musste. Kein leichter Weg und in der heutigen Zeit möchte man solche schweren Wege ausblenden. Das ganze Leben ist ein Kreuz, mag so mancher stöhnen – und so kommen uns ganz viele Kreuzbilder vor Augen.

 

Oftmals reagieren Menschen heute aggressiv auf christliche Rituale und Symbole und besonders auf das Symbol Kreuz. Oftmals hängt es mit der Lebensgeschichte von Menschen zusammen und mit Verletzungen durch einseitige Deutungen der Symbolik. Viele werfen den Christen vor, mit dem Symbol des Kreuzes das Leiden zu verherrlichen. Es tue nicht gut, durch das Kreuz mit den unangenehmen Seiten des Lebens konfrontiert zu werden. Das Kreuz provoziert heute wie damals vor 2000 Jahren die Gemüter, als die Christen es wagten, das Kreuz in den Mittelpunkt zu stellen, das für die Römer Zeichen der grausamsten Todesstrafe war. Doch Christen dachten nicht nur an das Leiden Jesu, sondern sie griffen mit diesem Symbol die Ursehnsüchte der Menschen auf.

Was haben wir für Erinnerungen an Momente der Begegnung mit dem Kreuz – bestimmt fallen uns da einige ein.

Ich bin in keinem christlichen Elternhaus aufgewachsen – Kreuze hingen in unserer Wohnung nicht. Kreuze kannte ich nur aus der Kirche – verbinden konnte ich mit ihnen nicht viel. Mit Kreuzzeichen wurde ich zunächst in der Schule konfrontiert – und zwar im Rechenheft als Pluszeichen, wenn Zahlen zusammengezählt wurden. Und über der Tür war ein Kreuz, an dem Jesus hing, der eine Dornenkrone trug und den Kopf gesenkt hielt.

 

Vor einigen Jahren bestand eine heftige Diskussion um die Kreuze in deutschen Klassenzimmern. Konfirmiert wurde ich dann in der Kreuzkirche in Celle, wo ich vor sechs Jahren einen Gottesdienst zur Goldenen Hochzeit mit meinen Eltern feiern konnte – hier gibt es in den gestalteten Fenstern jede Menge Kreuze, umgeben von bunten Glasscheiben. Erst später, als ich mit 24 Jahren zum bewussten Glauben an Jesus Christus fand, füllte sich das Kreuz mit Leben. Und während ich das in der Predigtvorbereitung so schreibe, fällt mir auf – eigentlich ein schöner Gedanke – das Kreuz, das sich mit Leben füllt – dazu später mehr.

 

Sequenz 1:

Am Kreuzweg des Herzens stoßen die Gegensätze aufeinander:

Krankheit und Heilung,

Bann und Erlösung

Tod und Leben,

Unglück und Glück.

 

Am Kreuzweg des Herzens begegnen sich die Lebenden und die Toten.

Dann erkennen wir, was uns geprägt hat.

Dankbarkeit erfüllt uns, aber wir spüren auch,

was uns fehlt und uns versagt geblieben ist.

Das ist die Stunde der Sehnsucht nach wahrer, tiefer Berührung.

 

Am Kreuzweg des Herzens erscheint der Zweifel.

Wohin soll ich gehen?

Welcher Weg ist richtig?

Welcher Weg führt in die Irre?

 

Der Kreuzweg des Herzens ist ein Scheideweg.

Hier scheiden sich die Geister.

Ich kann nicht in alle Richtungen zugleich gehen.

ich muss einen Weg wählen.

Eine Entscheidung treffen im Beruf,

eine längst fällige Trennung vollziehen,

eine verworrene Beziehung hinter mir lassen.

Entscheidung ist immer Unterscheidung.

Wir wollen eintauchen in das Kreuz in

einem folgenden Akkord:

 

  • Das Leben mit dem Kreuz
  • Das Wort Gottes vom Kreuz
  • Ich und Du und das Kreuz

 

Zunächst: Das Leben mit dem Kreuz. Unser ganzes Leben wird ständig mit dem Kreuz konfrontiert. Das Kreuz markiert eine Unterbrechung des Alltags. Jeder Mensch folgt seinem Weg, wir machen Pläne, haben ein Ziel vor Augen, wollen etwas erreichen. Doch jederzeit kann das Unerwartete eintreten – unser Lebensweg wird durchkreuzt. Jemand macht uns einen Strich durch die Rechnung, wir werden zum Innehalten gezwungen. Wir werden zum Innehalten gezwungen – und oftmals eröffnet sich gerade dadurch eine neue Chance, neuer Raum tut sich auf.

Das erlebe ich gerade in Seelsorgegesprächen immer wieder. Meist müssen wir das Alte loslassen, was nicht immer leicht fällt. Etwas stirbt in uns, damit Neues geboren werden kann – wie das Senfkorn, das in die Erde kommt, um zu ersterben und neu zu wachsen. Kreuzbegegnungen sind immer ein Wagnis.

 

Begegnungen bereichern das Leben, sie können aber auch gefährlich werden. Kleine Holzkreuze an Straßenrändern kennzeichnen den Ort einer tödlichen Begegnung. Wer unterwegs ist, der setzt sich Gefahren aus. Das gilt schon für den ersten Weg des Kindes vom Elternhaus zum Kindergarten. Wenn es die Straße überquert, so entsteht das Bild des Kreuzes. Wer eine Straße überquert wird - so lernt das Kind in der Verkehrserziehung, zuerst nach links, dann nach rechts schauen. Doch wie kann es sich schützen vor den gefährlichen Begegnungen auf den Pfaden der inneren Welt?

Im Kreuz vereinigen sich zwei Bewegungsrichtungen: die Horizontale und die Vertikale. Die eine beschreibt das

Irdische, die andere weist auf den Himmel. Die Horizontale, das ist der Weg, die Vertikale, das sind die Schlüsselerlebnisse auf dem Lebensweg, Momente der angehaltenen Zeit. In ihnen verdichtet sich das Leben, gewinnt an Tiefe und weist über sich hinaus. Auch die Nahrung wird häufig durch das Kreuzzeichen geschützt, besonders in früheren Zeiten. Die ersten und letzten Ähren werden kreuzweise aufs Feld gelegt. Aus Salz gestreute Kreuze schützen Mensch und Tier. Vor der Mahlzeit werden Speise und Trank mit dem Kreuz gesegnet, und über frischem Brot machte man vor dem ersten Anschnitt ebenfalls ein Kreuzzeichen.

Mit Hilfe eines satellitengestützen Navigationsgerätes und einer Übersichtskarte lässt sich jeder Punkt auf der

Erde orten. Die Ermittlung eines Standortes geschieht durch die Bestimmung von Längen- und Breitengrad. Wo sich Längen- u. Breitengrad berühren, da entsteht ein Kreuz. Das lässt sich auf jeder Landkarte dieser Erde sogleich überprüfen. Diese Schnitte werden Konfluenzpunkte genannt. Von ihnen gibt es 64.442. Die meisten befinden sich auf hoher See oder im ewigen Eis, knapp 13.000 Punkte warten noch auf ihren Erstbesucher!

Auch das Paradies hat einen Konfluenzpunkt: In der Mitte des Gartens Eden stehen zwei Bäume: der Baum des

Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Zwischen ihnen entspringt eine Quelle. Sie teilt in vier Arme – die Flüsse Gihon und Pishon, Euphrat und Tigris. Sie fließen in die vier Himmelsrichtungen und bilden ein Kreuz. Wer die Welt der sichtbaren Dinge mit spirituellem Spürsinn betrachtet, der sieht die Spuren des Kreuzes überall: im Segel des Schiffes, im Pflug, im Spaten, im Hammer, im Körperbau des Menschen.

Das Radkreuz ist ein uraltes Symbol der Vollkommenheit. Horizontale und Vertikale entsprechen sich in der Länge. Das Vollkommene aber ist nicht mit unseren Sinnen zu erfassen. Das Pluszeichen in der Mathematik gleich dem Radkreuz. Die Kunst des Zählens wurde vor allen Dingen von Kaufleuten beherrscht. Wer Handel treiben wollte, der musste zwei und zwei zusammenzählen können. Mit dem kleinen Kreuz aber wurden ursprünglich die Fässer und Kisten gekennzeichnet, die mit Waren gefüllt waren. Das Kreuzzeichen war ein Zeichen der Fülle.

Im Kreuz treffen Gegensätze aufeinander.

 

Gegensätze ziehen sich an – sagt man. Sie befruchten und ergänzen sich gegenseitig. Was bisher fehlte, tritt hinzu. Gegensätze schenken Selbsterkenntnis. Das eigene Leben spiegelt sich in einem fremden. Der Teppich des Lebens gewinnt an Farbe. Die Fäden werden auf ein kreuzförmiges Webmuster geknüpft. Gegensätze stoßen sich auch ab. Zwei Kräfte prallen aufeinander. Es kommt zu Spannungen. Das Holz des Lebens beginnt zu arbeiten. Es kracht im Gebälk. So hat die Zwei im Symbol des Kreuzes auch ihre Schattenseite. Sie steht für den Zweifel, die

Unentschiedenheit, das gespaltene Bewusstsein, ja die Verzweiflung. Durch das Kreuz wird die Welt in vier

Hälften geteilt. Zur Erde gehören die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die vier Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer und die vier Windrichtungen Osten, Süden, Westen und Norden. Fritz Riemann ordnete die menschliche Persönlichkeit in vier Charakteristika ein: Schizoid, depressiv, zwanghaft und hysterisch. Es gibt die vier Kardinaltugenden Tapferkeit, Gerechtigkeit, Besonnenheit und Klugheit, die vier großen Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel und die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.

 

Sequenz 2:

Wir sind das Kreuz:

ausgespannt zwischen Himmel und Erde,

zwischen der Höhe und der Tiefe,

zwischen der Breite und der Länge.

Wenn wir die Arme ausbreiten,

und aufrecht stehen,

dann nimmt der Körper die Gestalt eines Kreuzes an.

Doch wohin fließen die Ströme der Liebe aus dem Brunnen des Herzens?

 

So wollen wir aus diesen Gedanken heraus, die uns auf die Bibel weisen, zum nächsten Schritt aufmachen, Gottes Wort und das Kreuz:

Besonders hat sich der Apostel Paulus darum bemüht, eine Kreuzestheologie zu entwickeln. Er entfaltete diese in einem dreifachen Zusammenhang. Das ist zunächst das Wort vom Ärgernis des Kreuzes, das „für Juden ein empörendes Ärgernis des Kreuzes, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

 

Wir hören auf diesen Abschnitt aus 1.Korinther 1, 18-24:

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

 

Das Kreuz zeigt für Paulus das Bild eines Gottes, der es wagt, sich in seinem Sohn Jesus Christus zu erniedrigen und sich auf die Schwachen einzulassen. Im Kreuz sieht er einen Protest gegen alles Sich-selbst-Rühmen, als ob wir uns selbst gerecht machen und auf die eigene religiöse Leistung bauen könnten. Das Kreuz ist Zeichen für eine bedingungslose Liebe, die jedem Hoffnung schenkt, auch dem, der nichts vorzuweisen hat, der das Gefühl hat, vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Die zweite Bedeutung wird sichtbar in der Auseinandersetzung mit jüdischen Gegnern. Paulus greift zurück auf Deuteronomium 21,23, dass der am Holz Hängende verflucht sei. In Galater 3,13 heißt es: Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem er für uns zum Fluch geworden ist, denn es steht in der Schrift: Verflucht ist jeder, der am Pfahl hängt. Das Kreuz ist für Paulus Zeichen der Liebe Christi, der „für uns“ gelebt und „für uns“ gestorben ist. Und das ist doch genial: Wir müssen uns das Heil nicht mehr durch Gesetzeserfüllung erwirken, sondern Christus hat es ein für allemal für uns erwirkt. Vor einer Woche durften wir es neu erleben. Er hat uns von der Macht der Sünde befreit, weil er uns mit einer Liebe geliebt hat, die selbst die Sünde noch umgreift. Hier ist das Kreuz ein Zeichen für die Gnade Gottes und ein Protest gegen den Versuch des Menschen, sich selbst zu erlösen und sein Heil durch eigene Leistung zu erkaufen. Denn das geht nicht – auch wenn es manche versuchen.

 

Die dritte Deutung gibt Paulus dem Kreuz als Bild für unser Christsein: Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Galater 5,24) – und wenig später sagt Paulus von sich selbst: „Ich aber will mich all des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt (Galater 6,14). Das Kreuz ist also Zeichen für die neue Existenz im Glauben, in der wir uns vom Geist Jesu Christi leiten lassen und nicht mehr von unseren Leidenschaften, in der Gott über uns herrscht und nicht mehr diese Welt mit ihren Maßstäben. Für die ersten Jünger war das Kreuz zunächst unverständlich. Schon in den Evangelien lässt sich beobachten, dass jeder Evangelist auf seine Weise das Kreuz zu verstehen und zu deuten versucht. Im zeitlich ersten Evangelium sieht Markus im Kreuz den Ort tiefster Dunkelheit. Das Kreuz symbolisiert die Macht der Dämonen, den Herrschaftsbereich der Finsternis. Im ersten Teil treibt Jesus in göttlicher Vollmacht die Dämonen aus und befreit die Menschen von ihrer Macht. Im zweiten Teil begibt sich Jesus in die Ohnmacht hinein und in die Macht der Dämonen. In der Passion durchlebt er die Abgründe menschlicher Bosheit. Das Kreuz auf der einen Seite als Gipfel dämonischer Macht und menschlicher Intrigen, auf der anderen Seite erringt Jesus gerade am Kreuz den nachhaltigsten Sieg über die Finsternis. Für Johannes den Täufer, ist Jesus das Licht, gerade im Bild des Lammes, das sich nicht wehrt gegenüber Gewalt. Das Kreuz ist für ihn daher die eigentliche Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Am Kreuz wird Jesus erhöht. In seiner Erhöhung wird aller Mensch die Liebe Gottes sichtbar, die der Grund der Menschwerdung Gottes war. Am Kreuz wird sichtbar, was das Wesen des Wortes Gottes ist: es ist erbarmende und rettende Liebe. Das Kreuz ist daher der lauteste Ruf Gottes, an diese barmherzige Liebe zu glauben. Aber das Kreuz ist zugleich Gericht. Wer diesen Ruf Gottes überhort und in Jesus immer noch nicht Gottes Sohn sieht, der bleibt in seiner eigenen Dunkelheit gefangen. Das Kreuz ist für Johannes zugleich die Einladung der Liebe, zu ihm zu kommen, in ihm die Liebe Gottes auf neue Weise zu erfahren: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“, heißt es in Johannes 12,32. Das Kreuz ist der Thron, auf den Jesus steigt, um für alle sichtbar über diese Welt

zu herrschen und um alle einzuladen, an seinem ewigen Leben teilzuhaben. Und es ist Bild einer Liebe, die sich ganz und gar öffnet. Jesus, der am Kreuz die Arme ausbreitete, verzichtet auf jeden Schutz, den wir oft vor uns hinhalten. Er überlässt sich dem Vater, und er lässt uns Menschen bei sich und in seine Liebe eintreten. Das Kreuz ist bei Johannes also einmal Symbol für die Verwandlung unsers Lebens. Alles ist von göttlichem Leben durchdrungen, sogar der grausamste Tod noch. Alles ist verwandelt, selber der Tod ist in Leben hinein verwandelt, die Einsamkeit in Gemeinschaft, der Schmerz in Liebe, das Verachtetwerden in Verherrlichung. Zum anderen ist das Kreuz Zeichen von Jesu Liebe, der uns bis zum Ende bzw. bis zum Äußersten geliebt hat. Das Kreuz, das an unseren Wänden hängt soll uns daher immer und überall daran erinnern, dass wir von Gottes Liebe umfangen sind, dass Gottes Liebe sich bis in den Staub unsers Alltags hinabbeugt, um uns dort an unseren verwundbarsten Stellen liebevoll zu berühren und zu heilen. Nichts ist ausgeschlossen von dieser Liebe Gottes. So ist das Kreuz ein Hoffnungszeichen, ein Liebeszeichen. Wie wir Bilder von geliebten Menschen auf unserem Schreibtisch stehen haben, um uns wieder daran zu erinnern, dass wir von ihnen geliebt werden, und dass uns diese Liebe trägt, so soll uns das Kreuz immer wieder daran erinnern, dass wir von Gott geliebt sind, mit einer Liebe, die sich hinabbeugt bis zu unseren Füßen, bis zu den unansehnlichsten Stellen unseres Leibes und unserer Seele, bis in die dunkelsten Kammern unseres Herzens, in die wir selbst nicht hineinsehen möchten.

 

Sequenz 3:

Das Kreuz ist der Baum des Lebens.

Hier entspringt die Quelle lebendigen Wassers –

das Wasser des Glaubens,

das Wasser der Liebe

das Wasser Hoffnung.

Hier liegt die Quelle der Barmherzigkeit.

 

Das Kreuz ist der Ort der Wandlung.

Aus seiner Mitte strömt noch immer die Kraft,

die Krankheiten heilt und offene Wunden schließt,

die gebrochene Glieder zusammenfügt

und ermatteten Seelen neue Zuversicht schenkt.

 

Der Brunnen der Spiritualität ist nicht versiegt:

noch immer wird aus Trauer Freude,

aus Angst Zuversicht,

aus Verzweiflung neue Gewissheit

 

Das Kreuz ist das Zeichen des Freundes.

Er sagt: Ich bin das Licht der Welt.

Wer mir nachfolgt,

der wird nicht wandeln in Finsternis,

sondern das ewige Leben haben.

 

Du und ich und das Kreuz Das Kreuz muss immer wieder bedacht werden. Oftmals können wir in der Gesellschaft hören, dass die Menschen die ständigen Darstellungen von der Kreuzigung Leid hätten. Immer würde nur grausames Leid dargestellt. Das könne man dem Menschen heute nicht zumuten. Wir sollten lieber heilende Bilder aufhängen, entweder christliche Bilder von der Auferstehung oder Naturbilder von schönen Landschaften, aufgehender Sonne und von blühenden Bäumen. Die würden dem Menschen gut tun. C.G. Jung hat deutlich werden lassen, dass das Kreuz kein krankmachendes, sondern ein heilendes Symbol ist. In der Geschichte des Kreuzes erkennen wir, dass das Kreuz jahrhundertelang als Triumphkreuz, als Lebensbaum, als Hoffnungszeichen dargestellt wurde und nicht immer als Darstellung des Leidens. Sicher ist es sinnvoll sensibel damit umzugehen, an welchen Orten welche Art von Kreuzen aufgehängt wird. Offensichtlich brauchen wir Orte, an denen das Leid ausdrücklich dargestellt wird und daran erinnert wird, Trauerarbeit konkret vollzogen werden kann. Es geht dabei nicht nur um das Leid der anderen. Das Kreuz führt uns auch vor Augen, dass das Leid zu unserem Leben gehört. Wenn es uns gut geht, ist das nicht selbstverständlich. Wir sollten dankbar von Gott annehmen, was er uns Tag für Tag schenkt. Aber wir sollten auch wissen, dass es andere Bereiche in unserem Leben gibt, die wir nicht selbst in die Hand nehmen können, die uns von außen treffen, die unsere eigenen Erwartungen durchkreuzen. Gerade in meinem hospizlichen Berufsumfeld erlebe ich das immer wieder. Das Kreuz gibt gerade

leidgeprüften Menschen aber auch das Gefühl, dass sie nicht allein sind mit ihrer Not. Das Kreuz lädt uns dazu ein, anzunehmen, was Gott uns schenkt – auch wenn es in der Situation oftmals unendlich schwer ist. Und zugleich zeigt es uns, dass Licht und Dunkel, Glück und Leid, Erfolg und Misserfolg, Freude und Trauer zu unserem Leben gehören. Wir können nur dann wahrhaft als Menschen leben, wenn wir auch zum Leid ja sagen, das uns irgendwann einmal trifft. Wenn wir daran denken, dass es auch zu unserem Leben gehört, können wir besser damit umgehen. Wenn es aber nicht sein darf, dann geraten wir in Panik, wenn es uns trifft – wir können es nicht einordnen. Das Kreuz erinnert uns daran, dass die ganze Welt von Gott berührt und durchkreuzt ist, dass Gottes Geist sich in alles hineinmischt und es für Gott aufbricht. Das Kreuz ist Zeichen für die Liebe Gottes, die in alle Bereiche diese Welt eindringt. Es ist eine ständige Mahnung, ja zu sagen zu dem, was mich täglich  durchkreuzt. Das Kreuz weist mich darauf hin, dass nicht alles so glattgeht, wie ich mir das gerne erträume, dass ich mich aussöhnen muss mit den täglichen Durchkreuzungen, mit allem, was mir in die Quere kommt und meine Pläne über den Haufen wirft. Der Blick auf das Kreuz mahnt mich auch, behutsam mit den Menschen umzugehen, verfahrene Situationen, tief sitzende Verletzungen, Blockaden, Verzweiflung, Sinnlosigkeit anzuschauen und auszuhalten, anstatt vorschnell nach Lösungen zu suchen. Jeder hat seine eigene Geschichte und seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Kreuz. Anstatt nur über das Kreuz zu diskutieren, wäre es hilfreicher, wenn wir einander unsere Erfahrungen mit dem Kreuz erzählen würden – das wäre vielleicht auch noch mal eine Möglichkeit für „Monday Life“. Da würden wir spüren, wie sehr Gott an uns gerade durch so konkrete Bilder und Situationen wie das Kreuz wirkt, wie uns seine heilende und erlösende Liebe im Bild des Kreuzes und auch der Auferstehung, im hellen Ostergeschehen, erfahren lässt. Und wir würden erfahren, wie viele Menschen im Blick auf das Kreuz sich immer wieder daran erinnern, dass sie von Gott geliebte und befreite Menschen sind, dass der Tod keine Macht über uns hat, dass es keine Einsamkeit und keine Verzweiflung gibt, die nicht von Gottes liebender und erlösender Liebe umfangen ist. Pures österliches Geschehen. Im Kreuz erfahren wir, was es heißt,

Mensch zu sein – und in diesem Sinne wünsche ich uns, dass wir aus dem Schatten des Kreuzes heraus in der freudvollen, hellen, nachösterlichen Zeit ganz neue und vielfältige Erfahrungen sammeln.

AMEN.